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Bewährungsprobe für Deutschland

Während die Tage nun draußen langsam kühler und die Nächte frostig werden, scheinen sich die politischen Gemüter an der Flüchtlingsdebatte umgekehrt von Tag zu Tag mehr zu erhitzen oder vielmehr zu überhitzen. Deutschland läuft dadurch im Moment ernsthaft Gefahr, aus seiner Bahn geworfen zu werden. Dabei blickt die Bundesrepublik seit ihrer Gründung 1949 doch auf eine bewegte Geschichte zurück, in der es schon viele politische Herausforderungen zu meistern galt. Ob Nato-Doppelbeschluss, RAF Terrorismus, Trennung in zwei Staaten und spätere Wiedervereinigung oder die ersten Kampfeinsätze der Bundeswehr, all diese Themen wurden von leidenschaftlichen Debatten aber auch heftigen  Auseinandersetzungen um die richtige Lösung begleitet. Wenngleich manche Entscheidung auch im Rückblick unterschiedlich bewertet werden mag, so hat es doch die politische Führung im Lauf der Jahrzehnte unabhängig von parteipolitischer Zugehörigkeit mit dem nötigen Maß an Vernunft und Verstand schlussendlich vermocht, unser Land zu einem respektierten und geachteten Mitglied in einer von Frieden geprägten Europäischen Union zu machen.

Das alles setzen wir aufs Spiel, wenn wir in dem Umgang mit dem Flüchtlingsthema den Kopf verlieren und uns von Panik und Angst leiten lassen. Dabei ist es noch nicht einmal der von Erscheinungen wie der AFD oder Pegida aufgewiegelte Mob auf der Straße oder in den sozialen Netzwerken, der einem die größten Sorgen machen muss. Gewiss sind die grölenden und Hasspostings verfassenden Horden sichtbarer Ausdruck einer erschreckenden geistigen Verrohung, die in einem selbst oft eine Mischung aus Verachtung und Mitleid über so viel Dummheit aufkommen lässt. Aber dieses Phänomen wird erst dann zu einem echten Problem, wenn es Nahrung von einer schweigenden bürgerlichen Mitte bekommt, die insgeheim und ohne es klar und deutlich auszusprechen, Zustimmung signalisiert. Es handelt sich dabei zum Beispiel um solche Menschen, deren Sätze nach außen mit den berühmten Worten „Ich habe ja nichts gegen Flüchtlinge, aber..:“ beginnen. Und genau bei denen setzen die unappetitlichen geistigen Brandstifter wie ein Horst Seehofer oder ein Markus Söder an. In bürgerlichem Gewand daherkommend und unter dem Vorwand, die Sorgen und Ängste der Menschen ernst zu nehmen, sind sie es, die die viel beschworene Krise erst in Gang setzen, um auf dem Rücken der Flüchtlinge für sich selbst politischen Profit heraus zu schlagen.

Viele der inzwischen nicht nur von der CSU, sondern auch in Teilen von CDU und leider auch weiteren Parteien in den politischen Äther gerufenen Konzepte sind oft so unausgegoren wie schädlich und sogar gefährlich. Denn wer Grenzzäunen, Wachtürmen, Transitzonen, dem Bundesgrenzschutz oder gar dem Einsatz von Soldaten das Wort redet, sollte erst einmal darüber nachdenken, in was für einem Land und in was für einem Europa wir alle aufwachen würden, wenn dies in die Realität umgesetzt würde. Wenn wir Menschen in Not, die in Europa Schutz vor Krieg suchen, mit Stacheldraht und Gewalt begegnen, dann begeben wir uns auf einen düsteren Pfad, an dessen Ende wir zentrale Errungenschaften in Fragen der Humanität, grenzüberschreitender Zusammenarbeit oder Wahrung der Menschenrechte  hinter uns gelassen haben werden, die wir uns in den letzten Jahrzehnten mühsam erarbeiten mussten. Wer ernsthaft glaubt, man könne ein Asylrecht in eine quantifizierbare Kategorie und in ein Gesetz mit einer definierten Zahl gießen, der hat nicht einmal ansatzweise die viel gerühmte Geschichte der deutschen Aufklärung mit ihrem Protagonisten Immanuel Kant verstanden. Die unteilbaren Menschenrechte und die unantastbare Menschenwürde werden zu leeren Worthülsen und verkommen dann zur Farce, wenn man den ersten Menschen an einer deutschen Grenze mit Gewalt zur Umkehr drängt. Das Asylrecht und die dazugehörigen rechtsstaatlichen Verfahren sind keine Schönwetterregeln, derer man sich bei einfach den ersten Wolken am Himmel entledigen kann. Sie sind vielmehr ein konstituierender Bestandteil unserer Verfassung, die wir gerade dann achten und respektieren müssen, wenn es darauf ankommt, auch wenn das mit großen Belastungen und Entbehrungen verbunden sein wird.

Gewiss werden wir über Jahre hinweg einen sehr schwierigen und auch teuren Adaptionsprozess durchmachen, den aber umgekehrt auch diejenigen durchlaufen müssen, die zu uns kommen. Gerade die Globalisierung, die Digitalisierung oder der demographische Wandel zwingen alle zu Anpassungsprozessen und zu einem Umdenken. Wir werden diese Abläufe nicht durch Abschottung, durch Festhalten an traditionellen Bildern oder Rückgriffe auf Konzepte aus der Vergangenheit aufhalten können. In einer modernen, pluralistischen Gesellschaft müssen nun humanistische Werte an Wert gewinnen, während auf der anderen Seite überkommene nationalstaatliche Sichtweisen oder die Einteilung von Menschen in religiöse Kategorien an Bedeutung verlieren müssen.

Hierin liegt eine zentrale Aufgabe für alle, die sich so gerne als liberal bezeichnen. Angela Merkel scheint als eine der wenigen Spitzenpolitiker zu erkennen und zu verstehen, dass es keinen anderen Weg gibt, als die Herausforderung anzunehmen und Europa gemeinsam weiterzuentwickeln. Sie beweist in dieser Frage ungeahnte programmatische Standfestigkeit und einen klaren Kompass, den es nun auch braucht. Sollte Merkel gegen den erstarkenden Widerstand in ihrer Partei verlieren und sollten Menschen wie Seehofer sich durchsetzen, werden wir um Jahrzehnte zurückgeworfen werden und Europa könnte dann schnell den Anschluss an die USA oder China verlieren. Den Freien Demokraten könnte hier eine Schlüsselrolle zukommen, wenn sie es schaffen, der Verlockung von Fundamentalopposition zu widerstehen. Die FDP hat sich in ihrem jüngst auf Bundesebene verabschiedeten Leitbild auf die Fahne geschrieben, weltoffen, emphatisch, optimistisch und mutig vorangehen zu wollen. In der Flüchtlingsfrage muss sie das nun unter Beweis stellen und zeigen, dass sie bereit ist, Deutschland in ein neues europäisches Zeitalter mitzuführen, in dem man Herausforderungen gemeinsam anpackt und den notwendigen gesellschaftlichen Wandel aktiv begleitet. Gelingt ihr das, kann sie sich auch wieder langfristig als eigenständige liberale Kraft etablieren, die für Aufbruch und Fortschritt steht. Denn die Bewährungsprobe Deutschlands wird nicht mit Zögern und Zaudern oder einer Romantisierung der Vergangenheit bestanden werden.

 

5 Responses
  • Eicke Weber
    20. Oktober, 2015

    Sascha Fiek hat 100% recht, danke, Sascha für diesen wichtigen Beitrag!

    Ich möchte nur noch hinzufügen dass außer der Verpflichtung aus der Respektierung der Menschenrechte der Fluechtlinge wir als demographisch enorm gefährdetes Land große Vorteile aus einer gelungenen Integration mehrer Millionen von Fluechtlingen ziehen werden, selbst wenn sich nach Befriedung und wirtschaftlichen Verbesserungen der Heimatländer einige entschließen sollten zurück zu gehen: viele hier aufgewachsene und gut integrierte Kinder werden immer bleiben wollen, zu unserem Vorteil!

  • Jana Rykl
    20. Oktober, 2015

    Lieber Sascha,
    als Deutsche mit Migrationshintergrund und Enkelin eines ehemaligen Zwangsarbeiters in Nazideutschland und kann ich Dir leider nicht zustimmen.
    Deutschland braucht dringend ein modernes Einwanderungsgesetz wie Kanada, Australien oder auch die Schweiz, um die Einwanderung zu steuern und den Schleppern das Handwerk zu legen. Kriegsflüchtlinge und politisch, religiös Verfolgte sollten weiterhin Asyl das Recht auf Asyl haben, zumindest solange in sie in Ihrer Heimat nicht sicher sind und ein menschenwürdiges Leben führen können. Jedoch müssen Sie innerhalb von Europa besser verteilt werden. Eine grosse Zahl von Menschen, die derzeit nach Deutschland kommen sind jedoch eher „Einwanderer“, die hier ihr Glück, Arbeit und Wohlstand suchen. Deren Einwanderung muss jedoch gesteuert werden, damit die Integration gelingen kann und das Sozialsystem in Deutschland nicht kolabiert.
    Integration ist aber zur Zeit noch ein Thema für die nächsten Jahre. Zur Zeit ist eher das Problem die vielen Menschen winterfest unterzubringen, zu verpflegen und menschenwürdig zu behandeln. In diesem Jahr mag das vielleicht noch mit Ach und Krach gelingen, aber wenn die Zahl der Einwanderer weiter so hoch bleibt wird es schwierig für das Jahr 2016 und 2017.
    Weder „Grenzen auf für alle“ (Angela Merkel) noch „Deutschland einzäunen“ (Horst Seehofer) wird langfristig funktionieren.
    Viele Grüsse
    Jana Rykl

    • Sascha Fiek
      20. Oktober, 2015

      Hi Jana,
      ich sehe da gar keinen Dissens zwischen uns, da ich dir zustimme. Das Einwanderungsgesetz fordern wir schon sehr lange, aber es wird ja gerade von großen Teilen der Union und vor allem von der CSU konsequent abgelehnt. Und in der Tat müssen wir Asyl und Einwanderung gedanklich trennen. Ich glaube nur, dass es noch zu früh ist, überhaupt Aussagen darüber treffen zu können, wer aus welchen Ländern aus welchem Grund wie lange in Deutschland verweilen wird. Wir haben noch nicht mal ansatzweise einen Überblick darüber, da die Registrierung und Erfassung der Daten ja noch eine ganze Weile dauern wird. Und dass dann viele Menschen nach einem ordentlichen Verfahren uns wieder verlassen müssen, daran habe ich auch keinen Zweifel, übrigens auch nicht daran, dass viele wieder von sich aus in ihre Heimat zurückkehren wollen.
      Lg
      Sascha

  • Werner Völkle
    21. Oktober, 2015

    Lieber Sascha,
    es wäre mal an der Zeit, dass diejenigen welche in der Vergangenheit Verantwortung in unserem Land übernommen hatten (dazu zählt auch die FDP) aufstehen und sagen dass sie Fehler gemacht haben und falsche Einschätzungen getroffen haben.
    Es ist unerträglich geworden, von den Bürgerinnen und Bürgern Lastenübernahmen zu fordern und ihre Ängste zu verachten (kleinreden) ohne auch mal Ross und Reiter zu benennen, wer denn diese Flüchtlingskatastrophen ausgelöst und zu verantworten hat!
    Es sind Flüchtlinge, die schon seit mehreren Jahren aus ihren Ländern geflohen sind und dass das soweit gekommen ist, daran habe neben den USA auch deutsche Politik große Schuld und blauäugige Fehler begangen, nicht zuletzt auch durch die Halbierung der Flüchtlings-Hilfszahlungen durch die Vereinten Nationen.
    Es ist einfach zu billig und unseriös, jetzt die Menschen in unserem Land als „Nazis“ zu deklarieren, die sich ihrem Ärger über die politischen Versäumnisse der Vergangenheit
    durch Zulauf radikaler Forderungen Gehör verschaffen wollen.
    Ja, die politische Mitte ist in Gefahr nach rechts abzudriften und fragwürdigen Parolen zuzujubeln, doch ist es ihnen zu verdenken, wenn ihre Situation (und dabei spielt es keine Rolle, ob dies durch Flüchtlinge, eine Wirtschaftskrise, Finanzkrise ausgelöst ist) seit vielen Jahren den eigenen Niedergang erfahren muss.
    Wer soll denn glauben, dass Millionen von Flüchtlinge aus einem andern Kultur- Bildungs- und Religionsumfeld hier bei uns integriert werden können wenn wir es seit Jahrzehnten nicht geschafft haben, die vergleichsweise geringe Zahl von Harz vier Empfängern (teilweise in der dritten Generation) zu integrieren, um nur ein Beispiel zu benennen.
    Welcher Bürger, welche Bürgerin soll den daran glauben, dass es mal besser werden wird, wenn sie an eine total verkorkste und sündhaft teure Energiepolitik denken (an der auch Herr Weber kräftig mitgewirkt hat ).
    Wer soll an Besserung glauben, wenn an der Steuern und Abgabenschraube schon seit Jahren ständig nach oben gedreht wird und die Verschuldung dennoch ständig zugenommen hat?
    Wer soll den daran glauben das dieses Land politisch etwas für seine Bürgerinnen und Bürger so gestaltet, dass es gemeinsam erfolgreich ist, wenn der Erfolg nur von einigen wenigen eingefahren wird.
    Die Einkommens- und Wohlstandsscheere geht seit vielen Jahren auseinander und auch da geiffern wir dem „Vorbild“ USA politisch uneingeschränkt nach – schaut auf Amerika und ihr bekommt eine Vorstellung von dem was aus Europa werden wird!
    Ich verstehe jeden Flüchtling und würde selbst genauso handeln, wäre schon viel früher abgehauen (geflohen) unter solchen Umständen, da verurteile ich keinen einzigen – ich verurteile die verkorkste Politik der vergangenen Jahre / Jahrzehnte und lasse mir heut nicht vorwerfen ein schlechter Mensch und schlechter Bürger zu sein, nur weil ich ohne Willkommensblumen am Bahnhof stehe und innerlich den Kopf schüttle über soviel
    Naivität und Realismusverlust einer Bundeskanzlerin und anderer Gutmenschen, die dann anschließend, nachdem sie ihre Blumen wohlfeil und presserelevant abgegeben haben, zurück ins traute Eigenheim verschwinden.

  • Hermann Bars
    15. November, 2015

    Es nervt ungeheuer überall denselben politischen Einheitsbrei vorgesetzt zu bekommen! Mit ihrer Bezeichnung der AFD als „brüllende Horden“ werden sie die Menschen, die mit der Politik dieser Regierung nicht einverstanden sind, eher noch mehr gegen sich aufbringen. Das ist genau die Arroganz, welche viele davon abhält die etablierten Parteien zu wählen.

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