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Lieber Mensch als Christ – Gedanken zum Reformationstag

Zum 500. Mal jähren sich nun die Feierlichkeiten zur Reformation, die 2017 sogar mit einem eigenen Feiertag geehrt wird. Für die meisten Menschen ist es eine willkommene Gelegenheit, einmal mehr als üblich dem Arbeitsalltag entfliehen zu dürfen. Für manche ist es aber auch ein Grund zur Nachdenklichkeit. Ich selbst habe die freien Tage genutzt, wieder etwas mehr in dem Werk von Martin Luther zu lesen, der ja schließlich Ausgangspunkt der Reformationsfeierlichkeiten ist. Bestärkt hat mich die Lektüre in dem Gedanken, mich voller Freude und Stolz als Mensch und eben nicht als Christ zu bezeichnen. Natürlich ist jeder Christ ein Mensch, aber nicht jeder Mensch ein Christ, was nicht despektierlich zu verstehen ist. Doch gerade im Wirken und in den Werken Luthers wird deutlich, wie groß die Diskrepanz zwischen einem aufgeklärten Geist der Neuzeit und einem Christenmenschen des ausgehenden Mittelalters ist. Wenn ich in diesem Artikel eine scharfe Linie zwischen Christ und Mensch ziehe, dann meine ich damit die Trennlinie der Christen aus der Vergangenheit und der heutigen Menschen, denen die Erkenntnisse und Ideale der Aufklärung vertraut sind. Gemeint sind hier sicher nicht diejenigen, die sich aus der Zeit nach 1945 als Christen verstehen, da deren Auffassungen oftmals erfreulich viele Überschneidungen mit säkularem Humanismus und den Werten der Aufklärung erkennen lassen. Der große Irrtum bei diesen besteht jedoch vor allem darin, zu denken, dass ihr Wertegerüst der christlichen Lehre entstamme. Denn die ohne Zweifel begrüßenswerte Hinwendung mancher Kirchen und deren Vertreter zu einem an den Menschenrechten orientierten Wertegrüst ist eine Erfindung des 20. Jahrhunderts und hat seine Ursprünge in einem modernen Humanismus, der bis zu diesem Zeitpunkt von den Kirchen massiv bekämpft wurde.

Statt also die Reformation und deren Urheber gedankenlos zu feiern, scheint ein näheres Hinsehen geboten zu sein. Oft wird Luther mit einer Überschrift seiner Werke in Verbindung gebracht, die da lautet „Von der Freiheit eines Christenmenschen“. Hier ist jedoch keineswegs Freiheit im Sinn eines selbstbestimmten, eigenverantwortlichen Individuums gemeint, das über ein hinreichendes Maß an Handlungsfreiheit verfügt. Denn der Christ im lutherischen Sinne definiert sich ausschließlich in seiner Beziehung zu Gott. Gott ist das Zentrum allen Seins und die Bestimmung des Menschen. Für eine säkulare Freiheit, die unser heutiges Verständnis prägt, ist bei Luther kein Platz, wenn er davon spricht, dass „ein Christenmensch lebt nicht in sich selbst, sondern in Christo […]“ (VFC, S. 109). Der Reformator ist gar nicht daran interessiert, dass der Mensch für sich selbst Verantwortung übernimmt. Dies macht er sehr deutlich, wenn er die ersten vier Gebote zusammenfasst, „dass sie den Menschen gefangen nehmen, regieren und sich Untertan machen, damit er sich nicht selber regiere, nicht sich gut dünke, nicht etwas von sich selbst halte, sondern sich in Demut erkenne und führen lasse.“ (VFC, S. 1377) Es ist geradezu erschreckend, wie negativ der Mensch damals gewertet wurde. Anstatt ihn mit all seinen Eigenschaften wertzuschätzen und zu respektieren, wurde er in erster Linie als böser Sünder gebrandmarkt. Für Luther sind die Gebote und Gesetze Gottes daher dazu da, „dass der Mensch darinnen sehe sein Unvermögen zu dem Guten und lerne an sich selbst zu verzweifeln.“ (VFC, S. 46) Wohin man auch blickt, der Mensch scheint stets nur als böse, schlecht und verderbt von Luther angesehen zu werden, weshalb eine unbedingte Hingabe, ja eine bedingungslose Unterwerfung unter seinen Herrn Jesus Christus verlangt wird. Dieser jedoch steht bereit, den Menschen zu befreien, wofür Luther die Wendung findet, dass „der reiche, edle, fromme Bräutigam Christus das arme, verachtete, böse Hürlein zur Ehe nimmt und sie entledigt von allem Übel, zieret mit allen Gütern.“ (VFC, S. 51)

Es versteht sich sozusagen von selbst, dass in dieser christlichen Gedankenwelt kein Platz für Menschen anderer Religionen oder gar Atheisten besteht. So verwundert es nicht, wenn er „unvernünftige Tiere, Löwen und Schlangen, Heiden, Juden, Türken, Schandbuben, Mörder, böse Weiber“ (VFC, S.974) in einem Atemzug benennt. Denn alle Menschen, die sich nicht in totaler Hingabe, Liebe und Anbindung zu Jesus befinden, gilt es zu bekämpfen und zwar mit allen Mitteln. Hier zeigt sich, dass die vermeintlichen christlichen Werte der Nächstenliebe und der Barmherzigkeit nur den Christen zuteil werden und auch nur dann, wenn sie sich gegenüber Gott in der von Luther geforderten Einstellung befinden. Alle anderen erfahren hingegen Hass und Verachtung. Für den Umgang mit diesen hat der Mann aus Wittenberg eine klare Vorstellung, wenn er sagt: „Die muss man mit Gesetzen, geistlich und weltlich, zwingen wie die wilden Pferde und Hunde, und wenn das nichts helfen will, sie vom Leben tun durchs weltliche Schwert.“ (VFC, S. 1188)

Zu diesem Zweck geht er auch ohne zu zögern einen Pakt mit den weltlichen Herrschern ein und verlangt denen gegenüber absoluten Gehorsam, solange es sich eben um weltliche Angelegenheiten handelt. In seinem Werk „Von weltlicher Obrigkeit, wie weit man ihr Gehorsam schuldig sei“, kommt klar zum Ausdruck, dass Luther einen wechselseitigen Vorteil sieht in einem Bündnis aus weltlicher und geistlicher Macht. Luther braucht eine Institution, die das einfache Volk unter Kontrolle hält und knechtet, soweit es für seine Interessen hilfreich ist: „Es muß ja einer sein, der die Bösen fängt, verklagt, erwürgt und umbringt, die Guten schützt, entschuldigt, verteidigt und errettet.“ (VFC, S. 1793) Vorstellungen von Rechtsstaatlichkeit, Demokratie oder gar Gleichheit der Menschen sind außerhalb seiner gedanklichen Reichweite. 

Was ihn jedoch neben der Verachtung für Frauen,  Bauern, Nichtchristen oder sonstige von ihm verabscheute Gruppen umtreibt, ist der unbändige Judenhass, den er in seiner Hetzschrift „Von den Juden und ihren Lügen offenbart“, in der er die Juden unmissverständlich als Hauptfeind definiert:“Darum wisse du, lieber Christ, und zweifle nicht daran, daß du nächst dem Teufel keinen bittereren, giftigeren, heftigeren Feind hast als einen rechten Juden, der mit Ernst ein Jude sein will.“ (VFC, S. 2172) Die Antwort, was „wir Christen nun mit diesem verworfenen, verdammten Volk der Juden tun“ (VFC, S.2179) sollen, mutet grausam bekannt an: „Erstlich, daß man ihre Synagogen oder Schulen mit Feuer anstecke und, was nicht verbrennen will, mit Erde überhäufe […]“ (VFC, S. 2180) Mehr Anweisungen, die Luther den Christen zum Umgang mit den Juden auf den Weg gegeben hat, will man erst gar nicht zitieren, sind doch die Ideen zu abscheulich. 

Die Legitimation und die Anwendung von Gewalt, die totale Unterwerfung unter die archaischen Texte einer Bibel und die tief empfundene Verachtung gegenber weiten Teilen der Gesellschaft prägten nicht nur den Reformator Martin Luther, sondern sind fester Bestandteil der Kirchengeschichte bis in die Neuzeit. Dies liegt nicht zuletzt daran, dass die Bibel kein Wertegerüst bietet, sondern für völlige moralische Beliebigkeit steht. Andreas Edmüller widmet der Frage der moralischen Beliebigkeit ein ganzes Buch, in dem er Ursachen und Hintergründe dafür beleuchtet. Er kommt unter anderem zu dem nachvollziehbaren und plausibel dargestellten Schluss: „Ganz offensichtlich lassen sich auf Basis des Christentums und seiner Heiligen Schrift Massenmord und Pazifismus, harter Kapitalismus und Sozialismus, Folter und Krankenpflege, Nationalsozialismus und Widerstand, Todesstrafe und ihre Ablehnung, Diskriminierung diverser Bevölkerungsgruppen und deren Gleichberechtigung, Sklaverei und der Kampf dagegen, Demokratie und Absolutismus, Polygamie und Monogamie etc. rechtfertigen.“ (AE, S. 59)

Alle, denen der Glaube an Götter, Geister und Dämonen fremd ist und für die die Geschichten und Figuren in der Bibel nicht mehr als ein Stück altertümliche Literatur sind, können sich aufgrund der Geschichte kaum mit dem Christentum identifizieren, vor allem nicht mit dem, was sich Luther unter rechtschaffenen Christenmenschen vorstellt. 

Doch die grässlichen Erfahrungen der Menschheit mit Kriegen, die aus Religion, Nationalismus und Ideologie hervorgegangen sind, haben nicht nur die Aufklärung, sondern in jüngster Zeit auch moralische Wertesysteme geschaffen, in denen allen Menschen Würde zugestanden wird. Die Menschenrechtscharta der Vereinten Nationen ist hier zweifelsohne ein Leuchtturm für die Formulierung der Rechte aller Menschen auf diesem Planeten. Würde, Unversehrtheit der Person, das Recht auf eine freie Meinung unabhängig von Alter, Geschlecht, Herkunft und Religion sind nur einige Stichworte eines großartigen Regelwerks, das den Menschen und nicht irgendwelche Götter in das Zentrum des Denkens und Handelns rückt. Hier erfährt der Mensch allein in seiner Eigenschaft als Mensch Wertschätzung und wird nicht in Abhängigkeit zu einem religiösen System definiert. 

Die moderne Erklärung der Menschenrechte ist somit auch ein willkommener Gegenspieler zu überkommenen Moralvorstellungen der Religionen, die immer auch Hass und Gewalt legitimiert haben.

Insofern ist der Reformationstag ein Tag, an dem sich aufgeklärte Geister gerne als Mensch und nicht als Christ empfinden.

Literatur: 

– Von der Freiheit eines Christenmenschen und andere Lehren Luthers, musaicum books, 2017 (VFC)

– Die Legende von der christlichen Moral, Andreas Edmüller, Tectum Verlag, 2015 (AE)

2 Responses
  • Luna Oswald
    31. Oktober, 2017

    Hervorragend auf den Punkt gebracht.

  • Frank Sacco
    31. Oktober, 2017

    Wunderbar geschrieben. Hätte ich nur schlechter machen können…

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