Die FDP war stets eine Partei, in der zum Teil erbittert darum gerungen wurde, was genau die einzig wahre liberale Politik sei und wer für sich in Anspruch nehmen dürfe, diese zu vertreten. Dabei existierten in dieser Partei immer genau so viele Definitionen von „liberal“, wie es Mitglieder gab. Das ist bei einer solch großen Ansammlung von Individualisten, die sich für die Freiheit des Einzelnen einsetzen und denen jegliche Art kollektivistischer Systeme zunächst suspekt sind, nicht weiter verwunderlich. Eine letzte Gewissheit über das wahre Wesen liberaler Politik finden zu wollen, muss aber schon allein deshalb kläglich scheitern, da die Freiheit nicht absolut gedacht werden kann, sondern immer in Relation zu setzen ist. Ökonomische, ökologische, soziale, politische, kulturelle, ethnische, wissenschaftliche, religiöse und weitere Faktoren und Rahmenbedingungen stehen in Wechselwirkung mit der Freiheit des einzelnen Menschen in der Gesellschaft. Das bedingt, dass die Freiheit gleichzeitig immer auch in einem Spannungsfeld mit der Verantwortung gegenüber der, dem oder den anderen gesehen werden muss. Freiheit befindet sich somit in einem dynamischen Gleichgewicht mit den genannten Faktoren und darf nicht als starrer Wert gesehen werden. Wenn man sich diesen Umstand bewusst macht, kann man getrost einen Absolutheitsanspruch an die Freiheit beiseite legen, ohne jedoch darauf verzichten zu müssen, um den besten Weg für eine möglichst freiheitlich orientierte Gesellschaft zu streiten.
Es ist gut und begrüßenswert, wenn sich Liberale mit all ihren unterschiedlichen Ideen und Konzepten den Herausforderungen der Gegenwart und der Zukunft stellen. Da ist es auch überhaupt nicht tragisch, wenn bei einigen Themen ganz unterschiedliche Antworten gefunden werden, solange man die Gemeinsamkeiten nicht aus den Augen verliert. Liberale sollten in diesem Zusammenhang lernen, den Dissens auszuhalten und gleichzeitig den Konsens zu pflegen.
Eine Partei wie die FDP muss in der Lage sein, nach außen deutlich zu machen, dass es zwar vielfältige, lebendige und kontroverse Diskussionen innerhalb der eigenen Partei gibt, die sogar als Bereicherung empfunden werden, aber dass man unter dem Strich auch einer politischen Linie folgt, auf die man sich gemeinschaftlich geeinigt hat. Denn die Bevölkerung verlangt nach politischer Verlässlichkeit. Die einzelnen Flügel einer Partei sind ihr egal, solange sie weiß, was sie im Falle von Regierungsverantwortung zu erwarten hat. Wie sonst würden die Grünen deren gemeinhin bekannte Aufsplittung in einen Realo- und einen Fundi-Flügel überstehen? Daher ist der FDP anzuraten, intern durchaus hin und wieder verbal die Fetzen fliegen zu lassen, aber dennoch gemeinsam an die Öffentlichkeit mit unmissverständlichen Botschaften und klaren politischen Forderungen zu treten.
Der Frust über den Gang in die außerparlamentarische Opposition sollte nicht zu große Fliehkräfte hervorbringen, die dann den Schaden irgendwann irreversibel werden lassen. Dafür besteht im Prinzip auch kein Anlass. Denn die politischen Akteure in Regierungsverantwortung legen der FDP den Ball geradezu auf den Elfmeterpunkt. Gerade im Jahr 2014 hat die große Koalition immer wieder Attacken gegen die Freiheit geritten, die für Liberale aller Couleur gleichermaßen unerträglich sind. Ob Mindestlohn, Frauenquote, Rentenpaket oder Mietpreisbremse, in schier ungeahnter Geschwindigkeit wurden grundlegende Freiheiten beschnitten. Nicht nur in den Medien wird deshalb der Ruf nach einer liberalen Kraft im Parlament von Tag zu Tag lauter. Selbst Angela Merkel lobt dann und wann die schwarz-gelbe Koalition und zwar nicht, weil sie so sehr mit der FDP sympathisiert, sondern weil sie vielmehr merkt, dass sich das politische Gleichgewicht Deutschlands ohne eine liberale Stimme im Parlament verschiebt. Auch wenn sich Liberale gerne über mangelndes Erscheinen in der medialen Berichterstattung beklagen, so finden sie dennoch weit häufiger Erwähnung als andere Parteien, die nicht im Parlament vertreten sind und ähnliche Zahlen in den Umfragen aufweisen. Manche Medien mögen sicherlich auch hin und wieder etwas zu hart mit der FDP ins Gericht gegangen sein, aber gleichwohl spürt man derzeit auch den Wunsch nach einer Rückkehr zumindest einer freiheitlichen Kraft. Ob das die FDP sein wird, entscheidet sie in erster Linie selbst. Wenn die verschiedenen Flügel es schaffen, sich intern aneinander zu reiben, aber in der Öffentlichkeit miteinander zu fliegen, dann wird es eine Renaissance für die FDP geben. Wenn die Flügel sich jedoch zerreiben, ist der weitere Absturz vorprogrammiert.
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