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Die FDP und das Kopftuchverbot für junge Frauen

Wenn der FDP Integrationsminister aus Nordrhein-Westfalen, Joachim Stamp, mit Unterstützung seines Parteichefs jungen muslimischen Frauen deren Freiheit per Gesetz durch ein Kopftuchverbot zwangsverodnen will, so lässt das aufhorchen und hinterlässt einige Fragezeichen. Denn Liberale sind normalerweise nicht bekannt dafür, dass sie primär auf staatliche Intervention als Garant für Freiheit setzen und sich in das Privatleben der Bevölkerung einmischen wollen.

In Zeiten, in denen Dampfplauderer wie der Stammtischhorst aus dem Innenministerium mit dümmlichen Pauschalurteilen – z.B. „Der Islam gehört nicht zu Deutschland“ – durch die Medien geistern, ist man zudem gut beraten, intellektuelle Integrität und politische Seriosität zu wahren, um nicht in das Kielwasser solcher Populisten zu geraten. Aber gerade in der Forderung nach einem Kopftuchverbot für Frauen unter 14 Jahren besteht eine große Gefahr, in den Populismus abzudriften, wenn man diese nicht zu Ende denkt oder nicht bereit ist, alle sich daraus für Liberale ergebenden Konsequenzen zu tragen. Andererseits bietet sich für die FDP im positiven Sinne auch die Chance, für einen echten Paradigmenwechsel einzutreten und ein Zeichen für die negative Religionsfreiheit zu setzen. 

Dabei unterstelle ich Stamp, Lindner und anderen Vertretern aus der FDP zunächst einmal beste Absichten und den Wunsch, die selbstbestimmte Entwicklung junger Mädchen in einer freiheitlich-demokratischen Gesellschaft befördern zu wollen. Unbestritten ist auch, dass das mal mehr und mal weniger erzwungene Tragen eines Kopftuchs in erster Linie Symbol für Unfreiheit und vor allem die Unterdrückung der Frau sein kann, wenn auch nicht immer sein muss. Insofern ist das Unbehagen gegenüber dem Kopftuch verständlich und eine kritische Auseinandersetzung damit durchaus geboten. Nachvollziehbar und legitim ist es auch, dass der Staat dann Grenzen setzt, wenn Kopftuchträgerinnen einem Beruf nachgehen, der eine besonders intensive Verbindung mit den Werten und Idealen des Grundgesetzes erfordert, sei es zum Beispiel als Richterinnen, als Lehrerinnen oder als Polizistinnen. Hier kann und muss der Staat vielleicht sogar darauf achten, dass durch falsch verstandene Toleranz nicht plötzlich eine staatlich legitimierte Außenwirkung entsteht, in der die mit dem Kopftuch verbundene Symbolik zur Normalität wird. Die Untersagung des Kopftuchs für Staatsdienerinnen ist somit nicht zu beanstanden und dient der Wahrung des Neutralitätsgebots, so wie beispielsweise auch der Verzicht von Kruzifixen an den Wänden staatlicher Einrichtungen. Denn wir verstehen unseren Staat nicht als Vertreter irgendeiner Religion, sondern als säkulare Institution, deren Auftrag es ist, das friedliche Zusammenleben der Menschen unabhängig von ihrer Weltanschauung zu sichern.

Ganz anders verhält sich aber die Sachlage, wenn der Gesetzgeber tief in den privaten Bereich der Lebensführung eingreifen will, zu dem bekanntermaßen die ungestörte Ausübung der Religion oder die Erziehung der Kinder als natürliches Recht der Eltern zählen. Wer hier unbedacht Hand anlegen will, begibt sich nicht nur auf politisch gefährliches Terrain, sondern läuft vor allem Gefahr, den Teufel mit dem Beelzebub auszutreiben. Dies ist dann der Fall, wenn ein Kopftuchverbot für junge Musliminnen isoliert betrachtet wird und man mit diesem Eingriff nur auf eine einzelne Religionsgemeinschaft abzielt. Denn wenn man nur diese eine Gruppe in ihren Grundrechten beschneidet in der Hoffnung, damit mehr persönliche Freiheit für junge Frauen zu gewinnen, provoziert man eine heftige Gegenreaktion. Wenn unser Gesetzgeber mit dem Finger nur auf eine einzelne Gruppe an Menschen zeigt und diese gesetzlich zu mehr Freiheit zu zwingen versucht, kann dies zu noch mehr Abgrenzung und Spaltung führen, als wir es in der derzeit aufgeheizten Stimmung eh schon erleben. Die jungen Frauen, die man eigentlich beschützen und denen man eigentlich helfen will, geraten so unter Umstände in noch tiefere Konflikte auf dem an sich schon schwierigem Weg der individuellen Selbstfindung vor und in der Pubertät. Da sind einerseits die hoffentlich geliebten Eltern, zu denen die jungen Frauen eine enge Beziehung pflegen und denen sie vertrauen, die aber zugleich das Tragen des Kopftuchs verlangen. Da sind dann die Freunde in der Schule, die mit ganz unterschiedlichen Lebensentwürfen und Ansichten darüber aufwarten, mit denen sie sich auseinandersetzen müssen. Und dann ist da eine Gesellschaft drum herum, die plötzlich sehr abstrakt das Tragen eines Kopftuchs verbietet und sich damit gegen die Eltern und vielleicht auch viele Freunde stellt. So eine Situation kann ein junges Mädchen schnell überfordern und Trotz, Frust oder Angst hervorrufen und so den Weg in die Gesellschaft verbauen anstatt ihn zu ebnen. Und selbst wenn es gelänge, das Kopftuch als textiles Symbol zu verbannen, so wäre doch in den Köpfen und im Denken der Betroffenen noch lange nichts gewonnen. Man mag sie vielleicht dazu zwingen, unter Androhung von Strafe das Stück Stoff nicht um den Kopf zu wickeln, aber die innere Haltungen und die Einstellung zur persönlichen Freiheit des Menschen wird man dadurch allein nicht ändern können. Ganz im Gegenteil festigt man im Zweifel sogar eine vorhandene Abwehrhaltung.  

Erfolg kann eine solche Maßnahme nur dann haben, wenn man ernsthaft darum bemüht wäre, die negative Religionsfreiheit, also die Freiheit von Religion,  gesamtgesellschaftlich zu stärken. Joachim Stamp spricht davon, das Tragen des Kopftuchs bis zum Erreichen der Religionsmündigkeit zu untersagen, also bis zum Erreichen des 14. Lebensjahrs, um so zu gewährleisten, dass junge Musliminnen selbstbestimmt darüber entscheiden können, ob sie ein Kopftuch tragen wollen oder nicht. Und hier, in der Betonung der Religionsmündigkeit, steckt eine große Chance. Denn in der Tat wäre es ein aus liberaler Sicht begrüßenswerter Ansatz, allen Menschen mehr Selbstbestimmung in religiösen Fragen zukommen zu lassen. Auch ich würde mir wünschen, dass die jungen Menschen in dieser Gesellschaft selbstbestimmt und aufgrund eigener Erwägungen darüber entscheiden können, ob und welcher Religionsgemeinschaft sie angehören wollen und auf welche Weise sie die Traditionen und Rituale der jeweiligen Gruppe leben wollen. Das würde aber bedeuten, dass wir diese Chance auch allen jungen Menschen einräumen müssen, was weitreichende Konsequenzen hätte. Denn das hieße zum Beispiel, sich von dem bestehenden „Gesetz über die religiöse Kindererziehung“ zu verabschieden oder das bereits erwähnte Grundrecht auf Erziehung der Eltern gemäß Artikel 6 Grundgesetz um die religiösen Fragen zu reduzieren. Die Taufe, eine Erstkommunion oder auch Religionsunterricht stünden damit sofort zur Disposition. Undenkbar wäre auch, die derzeit noch staatlich legitimierte Körperverletzung von kleinen Jungen in Form der Beschneidung gemäß §1631d BGB aufrecht zu erhalten. Wer also wirkliche religiöse Selbstbestimmung einfordert, der muss wissen, dass das mit erheblichen Konsequenzen verbunden wäre und man muss kein Hellseher sein, dass die immer noch mächtigen christlichen Kirchen in diesem Land gegen eine solche echte religiöse Selbstbestimmung Sturm laufen würden.

Für Liberale aber gilt der Gleichheitsgrundsatz. Wenn wir ein tief greifendes Verbot mit religiöser Selbstbestimmung und der Entwicklung persönlicher Freiheit begründen wollen, müssen wir diese zwingend allen zuteil werden lassen. Beschränkten wir uns nur auf Muslime und deren Lebensweise, so begingen wir im selben Moment trotz aller guter Absicht eine schlimme Diskriminierung, die den Graben in unserer Gesellschaft nur noch weiter aufgehen ließe. Trauten wir uns aber, einen echten Schritt zu religiöser und persönlicher Freiheit des Individuums zu gehen, dann würden wir der offenen Gesellschaft einen Dienst erweisen können. Es bleibt zu hoffen, dass der Vorstoß der FDP in diesem freiheitlichen Sinne zu verstehen und nicht einem Populismus geschuldet ist, der auf die schnelle Wählerstimme abzielt. Denn wer religiöse Selbstbestimmung in dieser Gesellschaft erreichen will, hat noch einen langen und steinigen Weg vor sich. Auch wenn bald nicht einmal mehr die Hälfte der Bevölkerung überhaupt noch einer Religionsgemeinschaft angehören wird, so darf man deren Einfluss und Macht nicht unterschätzen.          

 

1 Response
  • Eicke Weber
    10. April, 2018

    You are right on the point, Sasha, there is only one position a true liberal can take: freedom for all who like to wear whatever they want!

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